Big Data und Trackingsysteme
VON Agentur belmedia Allgemein Sozialraum
Noch kann man solche Videoaufzeichnungen nicht als flächendeckendes Marktforschungsprogramm bezeichnen. Das Problem ist aber, dass es für viele kein Problem zu sein scheint – oder sie jedenfalls für dieses Thema kein ausreichendes Problembewusstsein besteht, das einem solchen Big-Brother-Szenario rechtzeitig Einhalt gebieten würde.
Das System, vor dem Thür warnt, wird Personentracking genannt und dient vor allem Marketingzwecken. Im Gegensatz zu anderen Systemen findet es nicht online statt, sondern direkt am Point-of-Sale. Eingesetzt werden dabei hochauflösende und oft mit Audioaufnahmesystemen ausgestattete optische Sensoren, also Kameras. Mit ihnen werden die 3D-Positionen von Kunden gefilmt, mit dem Zweck, das Entscheidungs- und Kaufverhalten der Kunden zu beobachten. Dabei gewonnene Erkenntnisse, werden dann von der Kommunikationsabteilung und der Geschäftsleitung zur Optimierung von Werbe- und Vertriebsmassnahmen genutzt.
Die technologischen Mittel gehen dabei sehr weit – auch die Bewegung der Augen des Kunden wird erfasst, um das Ausmass des Interesses an einem Produkt definieren zu können. Zudem werden Kopfdrehungen gemessen, Gesten erkannt und verglichen, Gesichter mit einer biometrischen Gesichtserkennungssoftware in Echtzeit identifiziert und eine automatisierte Kategorisierung nach bestimmten Kundengruppen vorgenommen. Diese werden nach Alter, Geschlecht, Ethnie usw. eingeteilt. Zudem kann ein System integriert werden, das Daten auf Basis der von den erfassten Personen am Körper getragenen Mobilfunkgeräte aufzeichnet. Auch so kann ein Kunde durch das Geschäft hindurch „verfolgt“ werden.
Thür machte während der Vorstellung seines Jahresberichts vor den Bundeshausmedien auf die Risiken dieser Entwicklung aufmerksam, die bislang noch kaum jemand kennt. Kunden betreten nämlich inzwischen schon mit Videogeräten ausgestattete Restaurants und Geschäfte, ohne über Aufnahmen informiert worden zu sein – so dass sie gar nicht erst die Entscheidung treffen können, ob Sie mit der Analysemassnahme einverstanden sind, oder eben nicht. Es fehlt also an einer eigentlich notwendigen Einwilligung der Betroffenen, dass sie die eigenen, personenbezogenen Daten zur Aufnahme und Auswertung zur Verfügung stellen. Im Unterschied dazu haben die meisten Angestellten bereits mit ihrem Arbeitsvertrag eingewilligt, dass sie während der Arbeit gefilmt werden. Oft werden auch die Angestellten nicht mündlich darüber aufgeklärt.
Wenn allerdings keine Einwilligung der Betroffenen vorliegt, handelt es sich – im besten Fall – um eine datenschutzrechtliche Grauzone. Zwar werden nach Thürs Wissen weder in Schweizer Geschäften noch der Gastronomie und auch nicht in anderen Unternehmen Personentrackingsysteme eingesetzt. Er weiss aber anscheinend aus informierten Quellen, dass ein Interesse daran durchaus besteht. Hinzu kommt, dass die Videoaufnahmen etwa zur Verbrechensbekämpfung wie zur Eindämmung von Diebstählen sowie natürlich auch zur Analyse von Kundenverhalten genutzt werden können. Denn wie hochauflösend die Kameras auch sind: Ob sie einzelne Gesichter erkennen lassen, ist den Unternehmen selbst überlassen.
Bezüglich eines weiteren Datenschutzphänomens meldet Thür Bedenken an: Big Data. Es handelt sich dabei um eine strukturierte Auswertung riesiger Datenmengen. Thür bezeichnet diese Herangehensweise dabei als potenzielle Gefährdung der Privatsphäre. Auch dabei entstehende Schlussfolgerunden können für den Einzelnen verheerende, negative Folgen haben. Während der Auswertungen entstehen nämlich Muster, analog mit bestimmten Algorithmen. Diese machen nicht nur Aussagen über Gruppen sondern auch über Individuen – stellen aber immer nur Annehmen mit gewissem Wahrscheinlichkeitsgrad dar. Dennoch werden die Auswertungen als Basis für Entscheidungen genutzt – von der Einstellung oder der Ablehnung bei beruflichen Bewerbungen bis zur Vergabe eines Kredits.
Mit den mathematischen und technologischen Entwicklungen der Big-Data-Analysen halten juristische Vorgaben momentan nicht mehr Schritt. Gleichzeitig ist völlig unklar, ob die Auswertungen den bestehenden Datenschutzgesetzen entsprechen. Laut Thür sollte deshalb eine Expertengruppe gebildet werden, die den Status quo analysiert und anschliessend Vorschläge zur Revision des Datenschutzgesetzes macht.
Was können Sie aber bis dahin tun? Eine ganze Menge. Einerseits hat jeder Kunde das Recht zu wissen, ob und wo in einem Restaurant oder Geschäft Kameras platziert sind. Häufig wissen die Angestellten darüber allerdings nicht ausreichend Bescheid. Es lohnt sich, mit dem Geschäftsführer zu sprechen und dann selbstbestimmt die Entscheidung zu treffen, ob man dieses Unternehmen in Zukunft weiter besuchen will. Ausserdem ist es jedem selbst überlassen, wie viele Daten man freiwillig online weitergibt. Ein Grossteil der Big Data wird über soziale Netzwerke gesammelt.
Es lohnt sich, hier entsprechende Datenschutzbestimmungen vorab genau durchzulesen und sich im Internet nach Erfahrungsberichten umzuhören – etwa, wenn es um das Prozedere zum Löschen von Profilen und Accounts geht. Auch nicht Software-Affine können Schutzprogramme herunterladen, die das gleichzeitige Mitschneiden von Nutzergewohnheiten beim Besuch von Websites blockiert. Organisationen wie der Chaos Computer Club haben darüber hinaus eine Vielzahl an nützlichen, einfach umzusetzenden Tricks, wie man den Datendieben das Leben so schwer wie möglich macht.
Quelle: tagesanzeiger.ch
Oberstes Bild: Gegen Videoaufnahmen von Kunden in Restaurants und Geschäften gibt es deutliche Vorbehalte. (© CHAINFOTO24 / Shutterstock.com)